Marie Sturminger
SPF 5000
26.11. - 08.01.2024
SPF 5000
26.11. - 08.01.2024
Bettina Siegele
Mit sieben verstörend wirkenden Porträts von Babys mit verbrannter Haut verwandelt Marie Sturminger SINK in ein dystopisches Bühnensetting. Die rot leuchtenden Gesichter der abgebildeten Kinder wirken schmerzhaft und stehen im Kontrast zum unberührten und freundlichen Gesichtsausdruck der Porträtierten. Es scheint, als wären die Köpfe der Kinder mit heißem Wachs überzogen worden, als würde ihre Haut schmelzen, oder als ob sie sich einem aggressiven chemischen Peeling unterzogen hätten. Die mit einer KI generierten Bilder lassen eine gewisse Künstlichkeit und Ambivalenz erkennen, die nichtsdestotrotz die ihnen inhärente Brutalität sichtbar werden lassen. Komplementiert werden die Porträts auf Acryl von mit Perlmutt-Creme verkleideten Wänden, die durch die Porträtbilder durchschimmern und der aalglatten und gespannten Haut der Babys eine Struktur verleiht. Die dicke Cremeschicht suggeriert ein haptisches Soft-Touch-Feeling; wirkt klebrig, kühl und weich und erzeugt auf einer taktilen Ebene der Inszenierung das Gefühl der Hoffnung auf eine schnelle Linderung der Schmerzen. Inspiriert zu dieser Perlmutt-Verkleidung wurde Marie Sturminger von dem südkoreanischen Beauty-Hype rund um Schneckenschleim, der aufgrund seiner Eigenschaften vor Bakterien und UV-Strahlung zu schützen verspricht und als antioxidant sowie Anti-Aging-Wunder beworben wird. Neben Schönheitsbehandlungen, bei denen Schnecken über das Gesicht der Kund*innen kriechen, gibt es mittlerweile auch zahlreiche Kosmetikprodukte aus Schneckensekret, für deren Gewinnung die Tiere für eine Produktionssteigerung unter Stress gesetzt werden.
Im beengten Ausstellungsraum wird von Sturminger eine Rauminstallation voller Mehrdeutigkeiten und Absurditäten geschaffen. Auf der einen Seite erinnert die Inszenierung einer sich im Raum befindenden Sonnencreme mit elegantem Produktdesign, umgeben von den Perlmutt-farbigen Wänden, an das Setting eines Werbespots aus einer dystopischen Black Mirror Folge. Ein Szenario, in dem mit der vermeintlichen Selbstoptimierung nicht früh genug begonnen werden kann und Porträts von Kindern frisch nach einer schmerzhaften Hautbehandlung zeigt.
Andererseits kann die verbrannte Babyhaut auch ein Hinweis auf die vom Klimawandel bedingte Veränderung der UV-Belastung und Verschlechterung der Luftqualität hindeuten, beides, von dem die Wundercreme „Perlmutter“ verspricht, zu schützen.
Egal welche Projektion man* darin vermutet, sie zeichnet sich stets durch ihren kritischen gesellschaftspolitischen Charakter aus. Auffallend an der Inszenierung ist die Abwesenheit der Eltern, besonders sticht jedoch die fehlende Mutterfigur hervor, die nur durch eine Anspielung auf der Verpackung der Creme Erwähnung findet: „Perlmutter - Baby SPF 5000 - Für die gute Mutter“... Das schlichte und hochwertig anmutende Wellnessprodukt verkörpert einen kapitalistischen Wohlstandsdruck auf Elternschaft, der gekonnt aus Ängsten und Sorgen Kapital schlägt.
Mit einer solchen Perlmutter-Creme hat Sturminger den SINK Raum eingecremt. Ein pointierter Kommentar über gesellschaftliche Care-Erwartungen unserer Gegenwart, die laut Helen Hester und Nick Srnicek1sich konstant steigern und deshalb nie völlig bedient werden können. Das Streben, diesen gerecht zu werden ist zum Scheitern vorherbestimmt und wird zu einer unmöglichen Herausforderung. Besonders neue und noch unsichere Eltern sind oft von solchen unerfüllbaren gesellschaftlichen Standards und Leistungs- und Optimierungsdruck einer psychopolitischen (Selbst-)Regulierung betroffen. Das Sündenbockprinzip als Erfolgsmodell, um den Fokus von größeren Problemen unserer Gegenwart abzuwenden2. Ob die Creme mit Schutzfaktor SPF 5000, die globalen Schutz vor „UV-Verschmutzung-Antiox“ verspricht, auch als Wundermittel gegen gesellschaftliche Stressfaktoren und neoliberale Selbstoptimierungstendenzen eingesetzt werden kann, bleibt letztendlich reine Spekulation.
1 Helen Hester and Nick Srnicek, After Work: A History of the Home and the Fight for Free Time(London; New York: Verso, 2023).
2 Hadija Haruna-Oelker, Zusammensein: Ein Plädoyer für eine Gesellschaft der Gegenseitigkeit(München: btb Verlag, 2024)
Photos: Thomas Steineder