Hans Schabus
Europa Hundertsechs-undachzig



12.06. - 12.07.2023










Text by

Laura Schreiner






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O du lieber Hans! 
Oh, You Dear Hans! 
Im Sommer 2020 reiste der österreichische Künstler Hans Schabus mit seinem Hund Enzo per Zug, Taxi, Mietwagen, Bus und Rad über Polen, Litauen, Estland und Finnland nach Norwegen, um mit seinem Lastenfahrrad vom Nordkap bis nach Tarifa in Spanien zu radeln. Die Reise lässt sich in Hans Schabus. Tour d‘Europe (In Search of the Endless Column - Travels with Enzo) nachvollziehen.

‚Sink Vienna‘ lud den Künstler ein, den Ausstellungsraum unterhalb eines roten Waschbeckens in der Ateliergemeinschaft der Kröllgasse 10-12 zu bespielen. Hans Schabus folgte der Einladung mit einem ortsspezifischen Raumentwurf: Der österreichische Künstler legte sich mit seinen 186 cm in den Galerieraum und las aus seinem Reisetagebuch vor. Die Übereinstimmung von Körpergröße zu Waschbeckenunterraumlänge veranlasste Hans Schabus in den Kunstraum ‚Sink‘ zu steigen (die Maße des Ausstellungsraums betragen 186 cm x 105 cm x 65 cm). Die Bedingungen des Raumes, welche die Galeriegründer Lukas Matuschek und Florian Sorgo als „dwarf's cave“ (Zwergenhöhle) bezeichnen, kennzeichnenen den performativen Vorgang. Die Begrenzung des Raums bedingte eine Bewegungseinschränkung des Körpers im Verhältnis zur Bewegung des Radfahrens und einem nicht Inne-halten-Könnens, so Hans Schabus. Sein authentischer Sprachduktus, der sich mit dem Erfahrenen der Reise deckt, entwickelte sich in einfachen Sätzen: „Ich bin sehr eingekastelt von den Bedürfnissen entlang des Tages. Enzo verstärkt das einerseits. Andererseits ist es sehr lustig mit ihm. Wie sehr er bei der Sache ist“ (Schabus, 2021, S. 123). Dieses Eingekastelt-Sein spiegelte Hans Schabus in einer Geste des Abwinkelns seiner Beine und des erneuten Ausstreckens und unterstrich damit die beengende Galeriesituation, während er unbeirrt bei seinem Text blieb. Schabusens Stimme wurde mit der Zeit zunehmend eintönig und zeugte von einem nach Entlastung suchenden Körper. Hund Enzo war diesmal nicht dabei, das wäre zu illustrativ gewesen. Jedoch ein anderer sogenannter Helfer, den Hans Schabus in den Galerieraum neben sich legte: ein gegossener Türkeil, ein Objekt des Künstlers. Ein Türkeil schützt üblicherweise vor dem Zuknallen einer Tür. Während der Performance war der Keil in einen Spalt der Waschbeckenwand geschoben worden: ein Sicherheit versprechender Akt? Schabus positionierte sich mit dem Gesicht direkt unter dem Abfluss, während die Abflussrohre auseinander gezogen waren. Nachdem das Reisetagebuch vorgelesen war kroch Hand Schabus aus dem Ausstellungsraum. Der Keil blieb: „SINK focuses on small art works.“ – so lässt es sich auf der Homepage der Galerie lesen.

Eine neugierige Menge versammelte sich an jenem Montag, am 12.06.2023, um das Waschbecken wie damals um eine BASSENA, die als allgemein zugängliche Wasserstelle eines Mietshauses die Funktion der Öffentlichkeitsbildung beinhaltete. Aber was sollte an jenem Montagabend vor dem Waschbecken, unter dem Hans Schabus lag und las, diskutiert werden? Welchen Zweck verfolgte die Reise durch 17 europäische Länder in 48 Tagen und welche Subjektposition nimmt der Künstler im Abflussraum zu seinem Material, dem Reisebericht, ein?
 
Vor dem Hintergrund der Debatte über den Aufbau einer europäischen Staatsbürgerschaft steht die Überzeugung, dass jede:r europäische Bürger:in das Recht habe, sich mit Europa als Ganzem zu identifizieren. Das Reisetagebuch liest sich wie ein Logbuch aus einer analogen Zeit, in dem die räumliche und wirtschaftliche Mobilität eines europäischen Staatsbürgers als unteilbares Recht wahrgenommen wird (obgleich der Pandemie-Sommer eine geeinte europäische Sozialpolitik vermissen ließ). „Alle kochen ihre eigene Suppe. Egal wem und wie sie schmeckt. Es wird gekocht. Wir fahren erstmal weiter und ich versuche mich an Enzos Gegenwärtigkeit.“ (Schabus, 2021, S. 75). Pudel Enzo gibt Gewissheit über das Gegenwärtige und verspricht das Glück, dass bekanntlich im Moment selbst liegt, sofern sich das Tier seiner Hundigkeit entsprechend verhält. Hans Schabus wendet Gewalt an sich selbst an, um sein Ziel zu erreichen: Er muss sich im Norden gegen Wind und Wetter und im Süden gegen Hitze und Trockenheit durchsetzen, um sich zu befreien; er muss täglich das Glück in den Boden treten, wie es Schabus nennt, damit es hinten wieder hoch komme. Hans Schabus ist der Strecke und ihren Bedingungen ausgeliefert, sie bestimmen sein Erfahren vor dem Horizont des Öffnens und Schließens von nationalen Grenzen zur Zeit einer pandemischen Welt. Das Wechselspiel zwischen Öffnen und Schließen entspricht dem Prinzip des Mythos, in dem sich der Götterspruch für den Helden der Geschichte eröffnet und sich wieder verschließt. Im Fall von Hans Schabus heißt dieser schicksalshafte Spruch: Der Künstler muss vom nördlichsten bis zum  südlichsten Punkt Europas fahren um in einem Akt des Zurückspielens der Erinnerung an den Körper im Galerieraum ‚Sink‘ sich die Dimensionen seines künstlerischen Handelns bzw. das Ver- und Aushandeln seiner Positionierung (im Feld der Künste) gegenüber einer äußeren Natur an der Schnittstelle zu konzeptionellen, performance-orientierten Praktiken zu vergegenwärtigen.

Tour d’Europe von Hans Schabus lässt sich als Exempel verstehen, in einem dialektischen Prozess sich seines Verstandes zu bedienen, um sich aus dem Stillstand als einem Modus der Bewegung eines pandemischen Schicksals zu befreien. Schabus tritt dafür zielsicher und Kraft seines Willens in die Pedale seines Lastenfahrrades. Persönliche Eindrücke und warmherzige Begegnungen auf der Suche nach Quartieren bieten Einblicke in Schabus’ Reise zu sich selbst. Dabei scheinen politische und gesellschaftliche Perspektiven in diesen turbulenten Zeiten selten Ausdruck zu finden. Jedoch zeichnet sich in der problematisierten Mehrdeutigkeit bezüglich des Potenzials der Reise ein Leitfaden ab, um das Verhandelbare, das Politische vom Unverhandelbaren, der eigenen, sinnlich wahrnehmbaren Erfahrungswelt zu unterscheiden.  


In the summer of 2020, Austrian artist Hans Schabus traveled with his dog Enzo by train, cab, rental car, bus, and bicycle via Poland, Lithuania, Estonia, and Finland to Norway to then ride his cargo bike from the North Cape to Tarifa in Spain. His journey can be read in Hans Schabus. Tour d’Europe (In Search of the Endless Column – Travels with Enzo).

Sink Vienna invited the artist to occupy the exhibition space below a red sink in its studio community at Kröllgasse 10–12. Hans Schabus responded to the invitation with a site-specific spatial concept: The Austrian artist lay down his 6-ft. 1-in. frame in the gallery and read from his travel diary. It was the matching dimensions of the artist’s size and the space itself that prompted Hans Schabus to climb into the exhibition space called “Sink, with its dimensions of 6 ft. 1 in. x 3 ft. 5 in. x 2 ft. 1.5 in. The properties of the space – which gallery founders Lukas Matuschek and Florian Sorgo have dubbed the “dwarf’s cave” – delineated the performative act. According to Hans Schabus, the limited space caused a restriction of his body’s range of motion and an inability to pause, both of which were similar to that of cycling. His authentic manner of speech, which coincides with what he experienced on his journey, came in simple sentences: “I am boxed in by the needs of the day. On the one hand, Enzo intensifies that. On the other, it’s a lot of fun with him. He’s so into whatever he does” (Schabus, 2021, p. 123). Hans Schabus mirrored this “being boxed in” with a gesture of bending and stretching his legs, underscoring the constricting gallery situation while not wavering from his text for an instant. Schabusen’s voice became duller and duller as time went on, testifying to his body’s need for relief. His dog Enzo was not there this time around; that would have been too on the nose. However, Hans Schabus was accompanied by another “helper”: a cast door wedge, a piece made by the artist. Normally, a door wedge prevents a door from slamming shut. During the performance, the wedge had been pushed into a crack in the side of the sink – an act of security? Schabus’ face was directly below the drain with the drainpipes pulled apart. Upon finishing reading his travel diary aloud, Hand Schabus crawled out of the exhibition space. The wedge remained: “SINK focuses on small art works.” This can be read on the gallery’s homepage.

A curious crowd gathered around the sink that Monday, June 12, 2023, as they had previously done around a BASSENA, which, as a publicly accessible water point in an apartment building, facilitated public education. But what to discuss that Monday evening in front of the sink, under which Hans Schabus had laid and read? What was the purpose of his journey through 17 European countries in 48 days, and what subject position did the artist below the drain occupy in relation to the account of his travels? 

Against the background of the debate on the construction of a European citizenship stands the conviction that every European citizen has the right to identify with Europe as a whole. The travel diary reads like a logbook from a parallel time when the spatial and economic mobility of a European citizen is seen as an indivisible right (although the summer of the pandemic lacked a united European social policy). “Everyone’s going their own way. No matter who it affects and how it looks. They’re pushing ahead. We’ll move on for now, and I’ll try my hand at Enzo’s nowness” (Schabus, 2021, p. 75). Enzo, a poodle, provides certainty about the now and promises happiness, which, as is well known, lies in the moment itself, provided the animal behaves in keeping with its dogness. Hans Schabus has to force himself to reach his goal: He has to prevail against wind and weather in the north and against heat and drought in the south in order to free himself; in his own words, he has to pedal his luck into the ground every day so that it can rise again behind him. Hans Schabus is at the mercy of the road and its conditions; they determine his experience against the horizon of opening and closing national borders at a time when the global pandemic was raging. The interplay of opening and closing is reminiscent of the mythical archetype by which the oracle opens only for the hero of the story, before closing again. In the case of Hans Schabus, the oracle seems to be declaring: The artist must travel from the northernmost to the southernmost point of Europe to visualize, in an act of replaying the body’s memory in the gallery space “Sink”, the dimensions of his artistic conduct or the negotiation of his place (in the field of the arts) vis-à-vis an external nature at the interface with conceptual, performance-oriented practices.

Tour d’Europe by Hans Schabus can be read as an example of making dialectical use of one’s reason to become free from standstill, as a mode of movement in a pandemic fate. Schabus thus pedals his cargo bicycle with purpose and will power. Personal impressions and warm-hearted encounters in search of lodging offer insights into Schabus’ journey to himself. All the while, political and social perspectives rarely seem to find expression in these turbulent times. However, in the problematized ambiguity surrounding the potential of the journey, a map emerges to distinguish the negotiable, that is, the political, from the non-negotiable, the empirical world as perceived by one’s own senses.









Translation: Reuben Matthews
Photos: Thomas Steineder










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