Daniel Ferstl
The sleeper must awaken



02.08. - 07.09.2021



curated by
Oliver Kowacz










Text by

Jakob Breit









The Sleeper must awaken oder drei Geschichten an einem Nachmittag 

Prolog

Eine Stimme in meinem Kopf. Ein Befehl. Wach auf sagt sie. Immer wieder. Wach auf. Und ich wache auf. In die Küche. Kaffee leer. Zigaretten auch. Also raus. Erstmal raus. Kaffee und Zigaretten müssen her. Ohne das kann man ja nichts großes Leisten. Auch nichts kleines. 

Eins

Wieder sitze ich also hier und trinke. Kein Bier. Kein Wein. Kaffee. Viel zu wässrig. Und rauche. Es ist früh am morgen, es ist heiß. Trotzdem. Heiß und trocken. Ich bin müde.
Meine Augen jucken und tränen. Ich nehme einen Schluck und ziehe an der Zigarette. Gleichzeitig. Wie ich das mache, weiß ich nicht. Wieder Tränen. Eine Frau quert den sonst immer voll besetzten, doch heute beinahe leeren Platz. Langsam, aber wie auf Schienen. Ihr Kopf ist kahlgeschoren. 

Es vergeht eine Weile, die Frau klappert vereinzelt hockende Personen ab und kommt bei mir an. Die anderen interessieren sie aber nicht so richtig. Sie will zu mir. Mir ist das klar. Ihr ist das klar. Und meinen gereizten Augen auch.
Sie nimmt meine linke Hand und setzt sich mir ungefragt gegenüber. Ich mache nichts. 

Sie beginnt in meiner Handfläche konzentriert zu lesen. Sie muss sich anstrengen, denn ihre Stirn legt sich in tiefe Falten. Ich dachte mir schon, dass das nicht so einfach zu lesen ist, was da auf meiner Handfläche so steht. Ich hab eine sehr schlampige Schrift.
Sie murmelt vor sich hin. Es kommt irgendwas, sagt sie ohne die Lippen zu bewegen. 

Irgendwas kommt immer, sage ich.
Sie murmelt weiter. Eine Aufgabe also, eine Aufgabe eigens für mich. Ich müsse sie erfüllen. Soso.
Wieder Gemurmel. Ich rauche weiter.
Die Augen jucken immer noch. Ich nehme noch einen Schluck. Gegen die Müdigkeit hilft das auch nicht. Sie habe eine Aufgabe für mich, sagt sie, ich müsse mich auf den Weg machen und den Schläfer aufwecken. Ich frage sie wer das ist, der Schläfer. Keine Antwort.
Als sie aufsteht, fünf Euro verlangt und sich sehr höflich verabschiedet, fährt sie mit ihrer Hand in mein Gesicht und wischt mir Sand aus den Augen – Sand aus der Wüste, sagt sie. Zwar ist der Juckreiz jetzt akut fort, aber das geht mir entschieden zu weit, schließlich haben wir alle unsere Grenzen. Niemand muss anderen ungefragt in Gesichtern herumwischen.
Doch ehe ich was sagen kann, befiehlt sie: Aufwachen! Und ich schlafe ein. 

Zwei

Die kahlen Wände um mich erheben sich im Horizont. Sie werden zu Sandhügeln. Um mich herum nichts als Sand. Dünen. Ich bin also in einer Wüste. Ich bin genervt. Wieso jetzt das auch noch? Über mir die Sonne. Die Grellheit tötet alle Farben. Ich kneife die Augen zu. Alles blendet.
Na toll, wieder die Sonnenbrille vergessen. 

Moment, wie war das mit der Aufgabe? Irgendwen aufwecken soll ich. Den Schläfer. Na gut alte Schlafmütze, sage ich laut, als ob das was bringen würde und gehe los.
Es ist gar nicht so einfach auf den Sandhügeln halt zu finden, mein Rücken verspannt sich immer mehr. Ich schaue immer wieder hinter mich um sicherzugehen, dass ich nicht im Kreis gehe. 

Das wäre Fatal. Obwohl, eigentlich auch nicht so ein großer Unterschied. Ich weiß ja nicht wohin ich überhaupt gehe. Vielleicht entferne ich mich ja nur vom Ziel und eigentlich, denke ich, hab ich das mein ganzes Leben schon ganz gut perfektioniert. Im Kreis gehen. Spiralen.
Immer wieder knapp an der Wiederholung vorbei, damit man sich doch Fortschritt einreden kann. 

Aber heute nicht im Kreis. Heute geradeaus. Die Strecke ist die kürzeste Verbindung zweier Punkte und man muss schließlich auch mal ankommen, sage ich und höre mir selbst dabei zu. Ich muss lachen.
Vielleicht gibt’s dort ja auch was zu trinken? Wasser. Kaffee. Wein. Jemand der gerade aufwacht, der braucht einen Kaffee, den wird derjenige wohl haben. Hoffentlich. Dort kann ich mich ausruhen. Wieder hoffentlich. Ich fasse an die Brusttasche meines Hemdes und hole eine Schachtel Zigaretten raus. Es sind nur noch drei. Na toll, das reicht ja nie. Ich rauche. Und gehe. Immer weiter. Düne für Düne. 

Immer diese Aufgaben. Die zerschießen einem den ganzen Tag, denke ich. Das ist also jetzt meine Bestimmung. Irgendjemanden in so einer Ödnis finden und aufwecken. Ich hoff, die Person hat keine Termine, denn ich kann nicht versprechen, dass ich rechtzeitig da sein werde. 

Das zieht sich hier ganz schön. Aber ich schaue zurück und fühle beinahe so etwas wie Stolz.
Eine schöne Linie zieht sich durch die Wüste. Schon ein ganz schönes Stück, dass ich da geschafft hab. Man sieht den Startpunkt am Horizont kaum noch.
Ich gehe also weiter und meine in der Ferne, auf der höchsten und schönsten aller Dünen eine Hütte zu sehen. Das muss es sein.
Plötzlich flüstern in meinem Kopf. Eine Stimme sagt was. Wach auf, sagt sie. Immer wieder. Wach auf. 

Drei

Aufwachen sagt die Stimme noch einmal und wieder wache ich auf. Langsam öffne ich die Augen und sehe wie eine Figur das Zimmer verlässt. Ich höre Gezische von kochendem Kaffe am Herd. Das Zimmer ist düster und finster. Ich liege in einem Schlafsack. Neben mir liegt noch ein Schlafsack. Ich erkenne ein Wort auf dem Schlafsack neben mir. Meum steht da. Während ich mich aus dem Schlafsack herausschäle, fällt mir auch ein Wort auf diesem auf. Tuum. Verschlafen trete ich aus dem Raum heraus und gehe dem Kaffeegeruch nach. Ein Mann stellt zwei Tassen auf den dunklen Holztisch und schenkt ein. Ich setzte mich an den Tisch. 

„Milch?“ fragt der Herr. Ich schüttle den Kopf.
Er schiebt die Tasse in meine Richtung. Ich nehme einen Schluck.
Ich hole meine Zigaretten aus der Brusttasche und deute fragend.
„Ach ja natürlich, nur zu.“ und stellt einen schweren Aschenbecher auf den Tisch, setzt sich nun auch und beginnt sich selbst eine Zigarette zu drehen.
„War garnicht so einfach.“
„Was?“
„Dich wach zu bekommen, ich dachte schon, du wachst garnicht mehr auf.“
Ich zünde meine Zigarette an.
Jetzt erst fällt mir auf, der Mann mir gegenüber hat eine Uniform an. Eine blaue Uniform mit rotem Saum am Kragen. Sein Gesicht kommt mir äussert bekannt vor.
Er erzählt weiter:“Musst wissen, ich habs versprochen. Dich zu wecken, du könntest noch viel erledigen, hat man mir gesagt, also sollte ich dich wecken. Das hat aber ganz schön gedauert.
Du hast tief geschlafen. Ich dachte schon du verschläfst alles.“
„Ich glaube, ich habe ohnehin mindestens die Hälfte von allem verschlafen.“
„Die Hälfte wovon?“
„Naja, von allem halt. Vom Tag. Von der Woche. Monat. Vom Leben und so.“
„Das war wohl der Grund.“
„Der Grund wofür?“
„Naja, das ich gebeten wurde, dich zu wecken. Damit du endlich aufwachst. Damit du endlich weiter gehen kannst. Weiter gehen und an die Tat schreiten.“
„An die Tat schreiten?“
„Was du halt so machst. Es gibt sicher irgendwas, was du noch machen musst.“
„Hm. Was ich noch machen muss.“
„Gibts nicht irgendeine Dringlichkeit, die dich quält? Die schlummert doch immer vor sich hin, die Dringlichkeit. Die muss man auch erstmal wecken.“
„Hm.“
Wir trinken aus. Rauchen noch eine und dann werde ich hinausgebeten. Es ist Zeit zu gehen, sagt der Mann.
Ich gehe hinaus, über dem Türrahmen ist eine Gravour. 'Why worry?' steht da.
Wir verabschieden uns und ich dreh mich wieder um. Na toll. Da ist ja wieder diese Wüste.
Ich dreh mich abermals um, um zu erfragen, in welche Richtung ich den gehen soll und sitze nun
wieder auf dem Platz im Kaffee. 

Epilog

Ich zahle.Wie ferngesteuert gehe ich nach Hause. Mir fällt ein, ich muss ja noch einen Text schreiben. Ich setzte mich an den Tisch und beginne zu schreiben. Nur worüber?
Ich könnte von der Handleserin erzählen. Davon, wie ich durch die Wüste marschiert bin.
Ich könnte erzählen, wie ich in einem fremden Haus aufgewacht bin und Kaffee getrunken hab. Im Haus von T.E. Lawrence. Moment, jetzt weiß ich an wen mich das Gesicht erinnert hat. Das war Kyle McLachlan. Ich habe also mit Kyle McLachlan im Haus von Lawrence von Arabien Kaffee getrunken. Jawoll, das erzähle ich.

Und ich schreibe.